Malerei Grafik Joachim Tilsch

Interview

Herr Tilsch, Ihre Kunstwerke zeigen durchgängig einen virtuosen Umgang mit traditionellen Ausdrucksformen: Der opake, aufgelöste Pinselstrich erinnert an den Impressionismus, Bildkompositionen an die Renaissance („Generationen“) oder an die romantische Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Manchmal spielen Sie mit surrealistischen Motiven („Frau am Brunnen“) und kulturhistorischen Themen („Dornenkrönung“).

Es ist richtig, meine Bilder öffnen ein weites Bezugsfeld. Die kunstgeschichtlichen Motive und traditionellen Arbeitsweisen dienen dazu, die Gegenwart mit mehr Distanz zu betrachten. Anspielungen auf die Tradition sind für mich eine Art „Scharfzeichner“ der Gegenwart.

Die Bilder machen Atmosphären sichtbar. Dennoch handelt es sich nicht einfach um Stimmungsbilder. Worum geht es Ihnen als Künstler?

Mein Anliegen ist es, den inneren Zustand der Gesellschaft zu spiegeln. Die Bilder reflektieren tatsächlich Stimmungen. Aber sie greifen dabei emotionale Zustände oder Haltungen auf, die ich in der gegenwärtigen Gesellschaft vorfinde. Damit meine ich die Einstellung der Gesellschaft zu bestimmten Themen, zu ihrer eigenen Realität. Dieser oft verborgene Zustand ist nur als „Atmosphäre“ wahrnehmbar. Deshalb beschreibe ich Atmosphären, die diese gesellschaftliche Disposition wieder geben.

Für den Betrachter ist die Hintergründigkeit Ihrer Bilder manchmal nur über die Titel merklich.

Das Verhalten einer Gesellschaft geht auf deren inneren Zustand zurück. Deshalb interessiert mich nicht so sehr die einzelne Problematik. Das Überangebot an Informationen und medialen Bildern, die Verarbeitung vergangener Regime und Ideologien, die fortschreitende Selbstentfernung des Menschen in einer komplexen, von neuen Technologien bestimmten Welt: All diese Einzelaspekte ergeben für mich ein Gesamtbild, an dem sich die aktuelle „seelische Disposition“ einer Gesellschaft ablesen lässt. Das kann Zerrissenheit sein, Optimismus, Selbsttäuschung, Sehnsucht, Brüchigkeit. Diese Wahrnehmungen möchte ich über die Bilder ins Bewusstsein des Betrachters heraufholen.

Weshalb verzichten Sie auf eine direkte Aussage, einen in Worten fassbaren Fingerzeig?

Ich möchte über meine Bilder etwas bewegen – und zwar nicht durch Taten und Parolen, sondern im Betrachter. Wenn man gehört werden möchte, ist eine offene, freundliche Haltung oft wirksamer. Außerdem möchte ich ja nicht eine bestimmte Meinung publik machen. Die Ebene der Phrasen möchte ich gerade verlassen. Eine Gesellschaft befindet sich stets in einem Prozess, der sich zwischen Individuum, Gesellschaft und Politik abspielt. Ich denke, eine gesunde Entwicklung entsteht nicht durch gewaltsame Umbrüche, sondern nur von innen heraus: durch kleine, friedliche Interventionen.

Und welche Rolle spielt dabei der Künstler?

Es geht mir darum, etwas bewusst zu machen. Das heißt für mich, immer wieder neu die Beziehung herzustellen zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft, zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Der Künstler ist für mich ein „ruhiger Kommentator“, der die Welt vorführt, wie sie ist, und insofern kritisiert, der aber nicht wertet oder verurteilt.

Was wollen Sie über Ihre Bilder vermitteln?

Ich möchte zu einer neuen Verbindlichkeit ermutigen. Was ich tendenziell in unserer heutigen Gesellschaft wahrnehme, ist ein genereller Verlust der Verbindlichkeiten, z.B. der Verlust verbindlicher Werte, verbindlicher Beziehungen, verbindlicher Aussagen, beispielsweise in der Politik. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert. Das ist, glaube ich, eine durchaus positive Entwicklung. Andererseits geht gegenwärtig damit auch ein Verlust des Gemeinschaftlichen einher. Diesem inneren Auseinanderfallen möchte ich als Künstler entgegenwirken.

Wie kann der Betrachter Ihrer Bilder diese Botschaften wahrnehmen?

Betrachten heißt ja, etwas in seiner Gesamtheit zu sehen, einmal einen Schritt zurück zu treten. Nur aus der Distanz ist eigentlich Erkenntnis möglich. Um diesen objektiven Blick geht es mir. Das Figurative, also das Wieder-erkennbare der Darstellungen, bietet dem Betrachter zunächst einen unmittelbaren Zugang zum Bildgegenstand. Erst nach und nach wird die emotionale Schicht der Bilder spürbar. Was ich mir als Künstler wünsche, ist, dass der Betrachter sich als Teil der allgemeinen, gesellschaftlichen „Psyche“ wieder erkennt und im günstigsten Falle vielleicht begreift, dass es auch auf ihn ankommt, bestehende Defizite abzubauen.

Wie das?

Zum Beispiel indem er seine gesellschaftlichen Verhaltensmuster in Frage stellt. Der Mensch ist oft in einem Teufelskreis gefangen, weil er meint, unzähligen äußeren Ansprüchen genügen zu müssen: Schönheitsidealen, familiären und beruflichen Verpflichtungen, Leistungsdenken in allen Lebensbereichen. Dabei laufen wir letztlich hinter Vorstellungen und Bildern her, die leer sind, anstatt uns nach den natürlichen Bedürfnissen auszurichten. Wirkliche Lebensfreude z. B. ist in unserer Gesellschaft fast ein Tabu. Der Mensch ist ein soziales Wesen – und deshalb braucht er eine Gesellschaft, die sich an menschlichen Maßstäben orientiert, und das nicht nur im Grundgesetz....

Sie arbeiten mit ähnlichen Mitteln wie Vertreter der Leipziger Schule: mit handwerklicher Perfektion, mit dem traditionellen Ausdrucksmittel „Malerei“ und mit konkreten figürlichen Darstellungen. Was trennt Sie, und was verbindet Sie mit der Leipziger Schule?

Ich denke, was mich tatsächlich verbindet, sind die gemeinsamen Wurzeln: Künstler wie Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke und Bernhard Heisig haben die Malerei in Ostdeutschland vor und nach der Wende geprägt. Das betraf auch die Berliner und Dresdner Kunsthochschulen, an denen ich studiert habe. Was das Kunstverständnis betrifft, sehe ich allerdings Unterschiede. Von den aktuellen Vertretern der Leipziger Schule werden zwar auch Zustandsbeschreibungen entworfen. Die künstlerische Aussage verbleibt aber oft im Unverbindlichen. Der Künstler nimmt keine Position ein. Diese Haltung empfinde ich als resigniert. Aber es geht weiter. Und gerade deshalb brauchen wir die Kunst als gesellschaftsentwickelnde Kraft.

 

 

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